#aushalten

halten wir ihn aus
den einen moment, der alles ändert
in dem was wir hofften zusehends zerbricht
in dem nach befehl und hammerschlägen
nach dem letzten lauten aufschrei
stille ist, nichts mehr zu sagen

halten wir die stille aus
ohne sie ganz auszufüllen
ohne lauthals und geschäftig
vorbereitend, zubereitend
immer schon an morgen denkend
das kommende vorwegzunehmen

halten wir die stille aus
geben wir ihr raum in uns
werden wir kurz eins mit ihr
merken wir, dass etwas fehlt
bevor wir auferstehung feiern

halten wir die stille aus
zwischen golgotha und ostern
zwischen tod und neuem leben
zwischen gottverlassenheit
und befreitem halleluja

im gebälk

wenns knirscht im gebälk deines hauses, herr

wenn tragende säulen und uralte eichene balken
sich reiben, verwunden, im gegeneinander sich stützen

wenn das mauerwerk zweifelt, ob die last des gewölbes ihm gut tut
ob der boden noch trägt, ob er fels oder sand oder sumpf ist

wenn den fenstern nicht klar ist, ob sie innen und außen verbinden
ob sie schaufenster sind oder ausguck, glasklar oder blickdicht

wenn die türen, so wuchtig und schwer, nur mühsam sich öffnen
ob als einlass, als fluchtweg, als grenze, bleibt überdies offen

bleib bei uns, wenns knirscht im gebälk deines hauses
gib halt deinem haus und die freiheit, zu wachsen
zu atmen, zu leben und immer aufs neue
offen zu sein für die, die dich suchen
zeichen zu sein deines bleibenden wirkens
zuflucht zu sein für die, die es brauchen
spiegel zu sein für dein licht in der welt

es knirscht im gebälk deines hauses, herr
es knirscht und wir wissen: das heißt, das es lebt

1geschrieben im Januar 2022

im Kloster Burg Dinklage

was meinen wir eigentlich

was meinen wir eigentlich,
wenn wir gott sagen?
auswendig gelerntes?
inwendig gefühltes?
aus gewohnheit geglaubtes?
am eigenen leib erfahrenes?
am besten ungesagt gelassenes?
unmöglich verschweigbares?

wovon schweigen wir eigentlich,
wenn wir von gott nicht mehr sprechen,
weil die welt sich gern selbst ohne gott erklärt,
weil wir dabei nicht stören wollen,
weil wir den widerspruch leid sind,
weil uns so oft die worte fehlen?

was sagen wir eigentlich,
wenn wir gott meinen?

den geist befragen

herr, unser gott,
kommt dein geist
nur im sturm und im feuer
mit lärm und mit leuchten
mit größtmöglicher wirkung

herr, unser gott,
erfüllt dein geist
nur die, die davon sprechen
die lauthals verkünden
mit größtmöglicher wirkung

herr, unser gott,
ist dein geist
über zweifel erhaben
wenn wir fest genug glauben
mit größtmöglicher wirkung

oder, herr, unser gott,
hilft dein geist uns, zu hören
spricht dein geist manchmal leise
lässt er zu, dass wir zweifeln
führt dein geist uns zu dir
in größtmöglicher freiheit

komm her, jesus

komm her, jesus
und sei

bei uns
und mit uns
und in uns

wo zwei oder drei
sich einig im fragen
im antworten uneins
doch eins sind in dir

geh mit, jesus
und sei

bei uns, wenns dämmert
mit uns, wenn wir zweifeln
in uns, wenn wir matt sind

wo wege versanden
von frust überwuchert
vom alltag vergessen
sei du weg und halt

bleib bei uns
und sei

durch uns andern segen
mit uns andern beistand
in uns andern zeichen

bleib bei uns
und sei

wir leben noch, wir leben wieder

refrain
wir leben noch, wir leben wieder
leben wir weiter wie bisher?
wir leben neu aus deiner gnade
dein kreuz ist unser leben, herr

str 1
wenn wir nicht fragen, nicht mehr suchen
wenn wir nicht hören und nicht sehn
hilf uns, nicht alles schon zu wissen
bereit zu sein, neu zu verstehn

str 2
wenn uns gewohnheit lähmt und hindert
wenn unser herz zu stein erstarrt
hilf uns, zu gehn und nicht zu zögern
mach unser herz neu, frei und zart

str 3
wenn wir verstummen, statt zu sprechen
wenn trost uns nicht gelingen will
hilf uns, zu schweigen und zu lauschen
dem andern zugewandt und still.

1vertont von Anne-Katrin Vogel

vgl. hier: https://aside.vogel.ruhr/auftakt-zum-27-februar-2021/00/